„Corona“ oder „Covid-19“ dominiert unser aller Leben. Aller. Unternehmen, Privatpersonen, öffentlich-rechtliche Körperschaften, Banken, Finanzmärkte, Wirtschaftssysteme, Politik, Staaten – egal welche Perspektive man anwenden will, jeder ist betroffen. Weil wir alle „das System sind“. Auf den Punkt gebracht: Unsere bekannte Weltordnung mit all ihren aktuell funktionierenden Systemen steht auf den Prüfstand…und das Zeugnis scheint kein gutes zu werden. Aber das war doch längst zu erwarten, oder?
Wenn man sich die Definition einer Krise vor Augen hält, dann ist sie aus systemischer Sicht sozusagen die Not, die am Ende eines langandauernden Paradigmas zwangsläufig kommen muss, um dieses alte Paradigma zu zerstören und um eine sogenannte Trendwende einzuläuten, die in ein neues Zeitalter führt. Solange es keine Not(wendigkeit) gibt, verharren Systeme in ihrem alten Zustand. Man spricht von der Autopoiesis von Systemen – die Funktion bzw. Kunst sich selbst zu erhalten, zu erneuern, sich anpassen zu können, zu überleben.
Langandauernd. Was ist darunter zu verstehen? Zuerst einmal müssen wir uns in der systemischen Sichtweise von unserem geliebten linearen Denkmustern verabschieden, die es uns mathematisch so bequem gemacht haben, Dinge vorauszuberechnen. Sie kennen das. „Jährlich 5 % Umsatzplus, 3 % Ergebnisverbesserung, etc.“… Klingt schön, lässt sich auch ohne Mathematik-Studium gut berechnen, und so ein gerader Anstieg schaut doch erfolgsversprechend aus! Immer schön nach oben, stets konstant höher hinaus. Eine optische Täuschung.
Bye Bye Linearität. Willkommen S-Kurvenmodelle! Wenn uns die „Corona Krise“ wenigstens irgendwas Sinnvolles bringen soll – ganz abgesehen davon, dass wir Händewaschen lernen und den Umgang mit Hygiene – dann wenigstens die wunderbaren Hochrechnungen des Epidemie-Verhaltens mit der Infektionskurve, die wir flach halten sollten. Wenn also etwas progressiv ansteigt, hoffen wir mit Regulativen und einer guten Voraussteuerung den Berg zu überwinden und in die Degression zu kommen. Dort freuen wir uns über die Degression. Genauso wie beim Wandern, wenn es mal nach einem harten Aufstieg flach dahin geht, und irgendwann wieder zurück ins Tal. Aber warum verleugnen wir diese Dynamik in unseren Wirtschaftswissenschaften? Auch nur ein Teil des Gesamtsystems. Daher gelten dieselben Mechanismen. Aber da hat eine Degression und meist gefolgte Depression ganz katastrophale Auswirkungen, die wir schon bald alle erleben werden.
Nimmt man die Theorie des russischen Wirtschaftswissenschaftlers Nikolai Kondratjew als Veranschaulichung, die sogenannten „Kondratjew-Zyklen“, so beschreibt er mit seiner „Theorie der langen Wellen“ dies sehr anschaulich. Abgesehen davon, dass schon in der Bibel von sieben fetten Jahren und von sieben mageren Jahren geschrieben wird, die auf S-Kurven-Entwicklung schließen lassen, sind uns auch aus den Medien Begriffe wie Konjunkturaufschwung und drohende Rezessionen ein Begriff. Ungefähr in solch siebenjährigen Zyklen. Kondratjew stellt aber mit seiner Theorie der langen Wellen gut dar, das es darüber gelagert – rund alle 70 Jahre – solch große Wellen gibt. Wie Tsunamis. Zerstörerisch. Mit Schäden und Kollateralschäden. Bemerkenswerte Veränderungen. Für Geschichtsbücher.
Wo sind wir auf der Kurve? Alles im Leben ist eine Betrachtungsfrage. Kommt also darauf an, was wir betrachten möchten. Welches System. Welche Paramater. Welche Kurve als Beschreibung einer Entwicklung von Punkt A zu Punkt B. Unter welcher Frage wollen Sie die Beobachtung anwenden? Worauf zielt diese ab? Es ist komplex.
Komplex ist es, ja. Aber nicht kompliziert. Wir haben uns mit unserer Globalisierung eine höchst komplexe vernetzte Welt geschaffen. Über Jahrzehnte zumindest. Wir haben uns vernetzt, verstrickt, verlinkt, verschränkt. Nichts was man mit einer „Weltpausetaste“ einfach einmal weltweit anhalten kann, und dann mit play an der selben Stellle weiterspielen kann. Noch nicht einmal europaweit wie man sieht. Noch nicht mal innert eines Nationalstaats. Weil es einfach so viele Wechselwirkungen gibt. Der Parameter untereinander im System. Der Subsysteme in einem System. Der verschiedenen Systeme zueinander. Das ist hoch komplex, nicht leicht zu erfassen und darzustellen. Aber im Grunde nicht wahnsinnig kompliziert im Sinne von kompliziert zu berechnen. Es ist mehr beziehungsreich und multidimensional.
Wer hat welche Krise? Es beginnt also mit der Frage nach dem zu betrachtenden System. Wollen wir diese Frage ganz mit der riesengroßen Makro-Brille ansehen? Dann kommen die Beobachtungen der Menschen unter den Beschreibungen wie „Der Planet Erde ist am Ende und rächt sich, etc.“. Kann man so sehen. Wollen wir es uns mit der auch wichtigen weltgesellschaftlichen oder weltwirtschaftlichen Brille anschauen, dann kommen ähnliche Beschreibungen, wie z.B. „wir haben es mit der Globalisierung übertrieben“ oder „Grenzen dicht – zurück zu den Nationalstaaten, weg mit der Reisefreiheit“. Auch so kann man das Bild betrachten. Wie bei einem Fotoapparat, wo sie zwischen einem Weitwinkelobjektiv für Landschaftsaufnahmen oder einem Zoom-Objektiv, um bei Porträts bis ins kleinste Detail ihr Kunstwerk zu betrachten. Beides ist gleichwertig und notwendig. Beides sinnvoll und hilfreich, wenn man weiß was man beobachten und welches Ergebnis man produzieren will. Man kann also das System genauso gut mit dem rein medizinischen Objektiv betrachten. Man wird gänzlich andere Details feststellen worauf man achten will. Für einen Arzt auf der Intensivstation eines Krankenhauses ist das Überleben in diesem System relevant. Die Zustände der Bauern in Südamerika, die sich aufgrund der sinkenden Nachfrage nach Produkten in Südamerika verschlechtern können, bekommen auf diesem Bild erstmals keinen Raum. Denn erst wird nur ein Ausschnitt herausgezoomt. Der Rest ist totzdem da, und hat Aus- und Wechselwirkungen auf das Gesamtsystem. Einzig wichtig ist es, sich als Beobachter festzulegen, was man wie beobachten will. Und worauf das abzielen soll. Denn der Mensch ist letztlich ein Zweckwesen. Wenn man darüber hinaus seine eigenen Beobachtungen als seine eigene Wahrheit auch noch kommunizieren will, braucht es gemeinsame Sprache zwischen Sender (Beobachter) und Empfänger. Sonst bleibt das Bild wohl nur (s)eine Wahrnehmung des Betrachters. Ohne Kommunikation läuft nichts in Systemen. Und die ist auch so eine komplexe Sache…
Perspektivenwechsel. Wenn wir also ständig von der Krise oder „Corona-Krise“ sprechen, posten, urteilen, etc. dann sollten wir uns bei unserer Kommunikation auch immer überlegen, wovon wir reden. Was wir in unsere Betrachtung einbezogen haben. Wenn man also als Betrachtungsspektrum die Makrosicht anwenden will, und als Beobachtungszeitraum die Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg bis heute festlegen will, und darüber hinaus die Aspekte wie Gesellschaft, Wirtschaft, Umwelt und Politik in den Vordergrund stellen will, kommt man schnell zu dem Punkt: „Covid-19“ ist ein länger erwartete Auslöser – keinesfalls aber die Ursache – für unser derzeitiges weltweites Systemversagen. Zum Ursache/Auslöser/Wirkungsprinzip komme ich in einem gesonderten Beitrag. Denn diese Not, die wir haben, die es abzuwenden gilt, zeigt unsere längst erreichten Grenzen in verschiedenen Systemen des Gesamtsystems. Da wäre beispielsweise das Wirtschaftsparadigma „Kapitalismus“. Dessen Grenzen wir schon seit den ersten systemischen Krankheitssymptomen 2008 – gerne als Finanz- oder Bankenkrise gelabelt – oder vielleicht schon davor mit der „.com“ Blase als „Krankheit“ oder abgeflachte S-Kurve wahrnehmen hätten müssen. Oder die gesellschaftliche Frage im Sinne Nachhaltigkeit und Ökologie-Paradigmen, mit welchen sich vor allem junge Generationen im Krisenmodus seit einiger Zeit beschäftigen. Aber auch die politischen und wirtschaftlichen Ordnungssysteme wie z.B. die Europäische Union, deren Versagen als „Gesamtsystem“ auch schon in den letzten Jahren beobachtbar hätte sein können, weil das System vielleicht einfach zu groß und heterogen geworden ist. Oder, oder, oder. Es gibt kaum einen Bereich wo wir nicht längst an unsere Grenzen stoßen und wo es notwendig wäre, zukunftsorientiert steuernd einzugreifen, damit wir nicht Richtung völligen Kollaps weiter Vollgas zusteuern.
Auf den Hund gekommen: Ist die Not schon groß genug? Versagen quasi schon alle Organe, wenn unsere Welt ein Covid-19 kranker Patient wäre? Und was wären dann die konkreten Maßnahmen, die man genauso vorbereiten müsste, wie unser Gesundheitssystem versucht die Katastrophe im Medizinbereich durch vorausschauende Maßnahmen zu vermeiden? Wer ist denn dafür zuständig? Gibt die Richtung/das Ziel vor und wer trägt die Verantwortung? Wer ist derzeit infiziert bzw. trägt zur Ausbreitung bei unserem Weltwirtschafts-Patienten bei? Sind wir das nicht Alle gemeinsam über die letzten Jahrzehnte hinweg gewesen (damit erübrigt sich hier die Frage nach dem Patient Null)? Haben wir unsere Symptome lange unterdrückt, weitergemacht, obwohl wir schon kränklich waren, die Symptome verleugnet und keine Bereitschaft gehabt, uns aus dem letztlich doch sinnstiftenden, komfortablen und uns bekannten System zurückzuziehen? In eine Isolation, die unbequem wäre, deren weltweit komplex vernetzte Auswirkungen wir gar nicht erfassen könnten, uns dabei auch nicht Alle mitmachen wollen/können. Noch dazu, wo der Zeithorizont eigentlich völlig unklar ist, und wir überhaupt keine Idee haben, wie wir es nach dieser Krankheits- und Genesungsphase weltweit besser machen könnten? Welches Medikament oder präventive Vorsorgemaßnahmen bräuchte es künftig, damit die Welt nicht wieder krank wird, und wir den „Feind COVID-19 Krankheit“ besiegt hätten? Wer oder was ist denn unser „Virus“ der uns weltweit gesehen an das Ende der S-Kurve gebracht hat und uns zum Wenden und Umdenken in eine „neue bessere Ordnung“ zu transformieren? Gerne kommt „der Kapitalismus, die Konzerne, die Reichen, die Politik, die Gesellschaft“… also kurz gesagt: Das sind wir. Gibt es überhaupt schon ein Szenario, was „das Andere/Bessere“ wäre? Und wer soll das bezahlen?
Klingt nach viel Komplexität, Unwissen, Angst, Unsicherheit, vielen Möglichkeiten, Komfortverlust, Zerstörung, Chaos, Verzicht, Loslassen. Ist es, aber auch eine Chance? Und all das muss als „Umbau bei laufendem Betrieb“ passieren, denn „the show must go on“, weil es ja keine „Weltpausetaste“ gibt, kein Testsystem, keine Rückspieltaste, wo wir unsere Fehler korrigieren können – kein zurück, wenn es doch nicht besser ist. Aber frei nach G.C. Lichtenberg: „Ich weiß zwar nicht ob es besser wird, wenn es anders wird. Es muss zumindest anders werden, wenn es besser werden soll.“ Oder?
Aus welcher Perspektive betrachten Sie gerade unsere Gesellschaftskrise? Wie sind Sie involviert, konfrontiert, irritiert? Lassen Sie uns an ihrer Perspektive teilhaben, stellen Sie diese in unserem Weltwirkungsmodell dazu. Schreiben Sie uns Ihren Kommentar. Let’s Systhat!