1 Jahr COVID-19 – Ready for year 2?
Veränderung. Gefühlt hat sich im letzten Jahr Vieles verändert – und doch ist auch so Vieles gleich geblieben. Vor rund einem Jahr hat uns eine neuartige weltweite Pandemie den Atem verschlagen, und unsere gewohnten Paradigmen und Funktionalitäten auf den Kopf gestellt. Können Sie sich noch erinnern? Was haben wir ab Mitte März für Beobachtungen sehen können oder Aussagen von unseren Mitmenschen gehört? War es z.B. der Schock, weil plötzlich der „normale Alltag“ zum Erliegen gekommen ist? Die Panik inklusive zugehöriger Panikkäufe, dass so manches Gewohntes und Alltägliches vielleicht morgen nicht mehr zu haben ist? Die Hoffnung, dass Alles schnell vorüber geht, ich nicht viel verliere und Papa Staat es schon richten wird? Der Wunsch, zwecks Erholung nur mal kurz die Weltpausetaste zu drücken, und dann mit dem Play-Button einfach weiter wie bisher machen? War es da und dort vielleicht auch die Ignoranz und der gesunde Egoismus, mehr so bezeichnet als “Supermarkt-Motto”: „Hauptsache ich hab‘ mein Klopapier & meine Spaghetti – um alle anderen kann ich mich leider nicht kümmern!“
Oder war es aus der umgekehrten Perspektive auch das anfängliche und vielleicht überschwängliche Gefühl des Zusammenhalts in der Familie, unter Freunden und in der Gesellschaft, gemeinsam gegen einen unsichtbaren Feind zu kämpfen? Auch mal wieder einmal mehr “Hallo” zu den (älteren) Nachbarn oder Verwandten zu sagen, und sich diesen sozialen Werten zu widmen? Vielleicht auch mal wieder Jemanden etwas Gutes zu tun und Menschlichkeit zu zeigen? Emotionale Intelligenz in den Vordergrund stellen? Einmal stehen zu bleiben, zu verschnaufen, sich umzusehen, die Spirale des täglichen Tuns mit hohem Tempo zu unterbrechen und einfach nur die Stille zu hören? Traditionelle Werte wie Familie oder Zugehörigkeit zumindest einmal wieder in den Fokus zu rücken, neben Karrierestreben oder Selbstverwirklichung? Sich mit sich selbst auseinander zu setzen – inklusive Stärken und eigener Unzulänglichkeiten?
Jahrestag. Und jetzt nach einem Jahr? Wie stark ist aktuell noch der Zusammenhalt und wie tragfähig für die Zukunft? Sind wir schon längst wieder in den alten Trott verfallen? Sind jene, die unsere Systemfunktionalität aufrechterhalten haben, mehr ausgebrannt denn je? Wie viele Verlierer der Krise sehen wir bereits jetzt, wie viele werden es noch sein, wenn wir Bilanz ziehen? Haben wir irgendwelche Lehren aus dem Erlebten gezogen?

Wahrheit. Habe ich mit der einen oder andren Aussage eine Erinnerung
bei Ihnen geweckt, ein Nicken oder Widerstand hervorgerufen? Mit Sicherheit ist bei uns Allen von Allem etwas dabei. Das ist logisch und systemisch so angelegt. Die Dynamik lässt sich schön anhand des Pendelprinzips mit einem Fadenpendel beschreiben. Was wir seit der Nachkriegszeit über rund 70 Jahrzehnte so ausgereizt, teilweise übersteuert und auf der Seite von „mehr, schneller, höher und weiter auf ewig“ so übersteuert haben, hat mit einem Schwung ganz auf die andere Seite ausgeschlagen. Von 100 % Beschleunigung mit 100 % Negativbeschleunigung abgebremst. Das haben wir mit Sicherheit gebraucht, denn wir waren teilweise an unseren Grenzen. Den Perspektivenwechsel mit der Chance, auch mal das andere und fast schon Unbekannte zu erleben und zu betrachten – die Entschleunigung. Allerdings nach dem Pendelprinzip würde am Ende des Schwungradius nun auch wieder das Pendel in die andere Richtung schwingen, d.h. wir beschleunigen wieder. Das beginnen wir zu spüren. Das ist natürlich & nötig. Das ist physikalisch so. Wie man in Englisch so treffend formuliert: „What goes up, must come down“. Bleibt die nüchterne Frage: Sind wir schon bei “down” final angelangt, bevor das nächste stabile “up” möglich ist? Ich wage zu behaupten, leider noch lange nicht. Wir sind im Bremsprozess auf einer rapiden Talfahrt, aber vermutlich noch nicht stillstehend oder kollidiert am Boden für einen neuen stabilen Aufschwung. Gerne möge ich mich irren!
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ein Hauptproblem im Verständnis der Komplexität unserer momentanen Zeit liegt im zweidimensionalen Denken der x-y-Achse an der fehlenden dritten Dimension/z-Achse, nämlich der Zeitverlauf. Mehrdimensionalität braucht es für Veränderungen, wenn diese massiv sind und im Sinne einer durch einen Paradigmen-Wechsel ausgelösten Transformation nachhaltig erfolgen soll. Den Erstimpuls für den Prozess haben wir mit der „ersten Covid19-Welle“ initiiert. Es ist für jeden Einzelnen schwierig bis gar nicht zu begreifen, was/wann/wie/worum/woher/von wem dazu geführt hat, dass es dazu kam. Daher ist es legitim, dass sich alle Theorien von der Verschwörung bis zur Rebellion der Erde aufgrund der Ausnutzung halten. Wer jedoch jetzt nach circa einem Jahr denkt, Alles ist bald mit Vakzinen oder Medikamenten gelöst, und es geht zurück zur „alten Normalität“, lässt die Dreidimensionalität außen vor und irrt vermutlich.
Wir werden in den nächsten 3-5 Jahren mit Sicherheit noch viele Krisenherde finden, wie z. B. politische, ökonomische, gesellschaftliche Instabilität und Umbruch, soziale Brandherde weil Unternehmen, die ohne finanzielle Stütze ihr Überleben nicht mehr sicherstellen können schließen und damit verbunden der Verlust „alter Arbeitsplätze“, Schuldenfallen & Insolvenzen, Auseinandertriften von Reichtum und geringer Kaufkraft bzw. Armut, Wirtschaftsabschwung, psychische und physische Krankheiten als Folge der Krisensituation, und dergleichen mehr. Wir sind am Ende des letzten Wirtschaftszyklus angelangt. Aber zugleich ist es die Chance auf einen Start mit neuen Paradigmen in Wirtschaft und Gesellschaft für die nächsten Jahrzehnte. Gleichsam wie wir es im Frühling erleben können. Damit neue Blätter und Blüten auf den Ästen wachsen und gedeihen können, mussten die alten absterben und abfallen. Wir können Naturgesetze und Physik nicht einfach umschreiben, nur weil es bequem für uns Alle wäre.


What now? Nun gut, wo liegt nun aber die Herausforderung der Neuausrichtung? Man könnte es mit der Aussage zusammenfassen, dass es nun gilt, einen Zielkorridor zu finden, wo dieses Pendel im gesunden Ausmaß agil hin und her pendeln kann, also gewisser Weise kontrolliert schwingen kann. Diese Bewegung ist notwendig, damit sich Gefestigtes verflüssigen kann, formbar und neu ausrichtbar wird, und sich das Gesamtsystem letztlich langfristig wieder stabilisieren kann. Gerade und stabil wird es wohl in den kommenden Jahren aber noch längst nicht werden. Denn zu Beginn des Prozesses stellt sich die Gretchenfrage: Wonach ausrichten?
Da sind wir Alle jetzt gefragt. Eine chinesische Weisheit besagt: „Erst wenn du loslässt, hast du wieder beide Hände frei.“ Wir müssen also als Gesellschaft, als lokale und globale Wirtschaftsräume oder wonach Sie das Gesamtsystem clustern wollen, überlegen, welche unserer bisher bekannten Paradigmen wir auch in Zukunft noch als gültig erachten, welche wir übersteuert haben, und so nicht mehr verfolgen wollen, was hinzukommt, was wegfällt. Es wird nicht ohne technologischen Fortschritt gehen – aber hier gibt es auch ethische Grenzen. Es wird nicht ohne Digitalisierung gehen, aber ein gläserner Mensch der Datenmissbrauch ausgesetzt ist, wird kein erstrebenswertes Ziel sein. Wir müssen leisten und geben, damit wir etwas zurückbekommen können. „Ein Sozialtausender ohne Leistungsbeitrag“ wird kein langfristiges Ziel sein können, denn jeder Mensch kann Etwas und kann bzw. will auch Etwas geben. Maximale Gewinnorientierung auf Kosten der Ärmsten kann kein erstrebenswertes zukunftsfähiges Modell sein, aber Ergebnisoptimierung muss Thema sein, um nachhaltig überlebensfähig zu sein. Ökologisch wird ein Kernthema sein, der Feind dar aber nicht das bestehende Wirtschaftssystem sein.
Und immer wieder geht die Sonne auf. Es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis sich das extreme Ausschwingen des Pendels in einem menschlich akzeptablen und sozialverträglichen Korridor eingependelt hat, und damit Stabilität für eine kontinuierliche Beschleunigung in eine neue Richtung ermöglicht wird. Also, machen wir uns ready fürs Jahr 2 der Transformation und schöpfen wir Kraft, Energie und Weisheit aus dem, was wir Alle schon bewältigt haben – und was noch auf uns zukommen wird. Für Spannung wird gesorgt bleiben.
Es wird nun an uns Allen liegen, unsere Kräfte und eigenen Ressourcen zu evaluieren, zu aktivieren und zu stärken. Nicht nur die Schnellkraft, auch die Ausdauer und die Resilienz. Wir haben einen Marathon vor uns, der kräfteraubend sein wird. Wir werden probieren, innovieren, erfolgreich sein, aber auch scheitern. Hoffen und zweifeln, glücklich und wütend sein. Bestätigt im Erfolg, frustriert vom Misserfolg. Aber wir haben keine Alternative als durch dieses Tal der Tränen weiterzugehen. Rückwärts als mögliche Richtung ist dabei jedoch keine verfügbare Option.


Auf den Hund gekommen. Zahltag. Vor allem aber werden wir Alle in einigen Punkten Farbe bekennen müssen. Einiges wird auf den Prüfstand in Sachen Funktionalität, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit zu stellen sein, denn in der ein oder anderen Sache haben wir uns vermutlich verrannt oder belogen!
Egal welches Thema ich hier beispielhaft aufgreife, es wäre nur ein sogenannter Tropfen auf den heißen Stein in der Summe der Herausforderungen und Kernthemen, die ich punktuell bereits angesprochen habe. Und alle Themen polarisieren derzeit. Ein typisches Zeichen der Instabilität in Veränderungsphasen. Eines muss vorausgeschickt werden: Der Mensch wehrt sich per se nicht gegen Veränderungen, der Mensch aber wehrt sich verändert zu werden! Der beobachtbare Unterschied liegt also in der sogenannten Aktivitätskippe zwischen ich will etwas verändern, aber ich will nicht gezwungener Weise von dritter Seite passiv verändert werden. Ein aktueller Klassiker wäre hier die Diskussion zum Thema “Impfpflicht und Vakzin-Wahl.
Kennzeichen von Transformation ist, dass Bestehendes zerstört wird, und neu bzw. anders zusammengesetzt wird. Das betrifft sowohl klassisch organisiertes Funktionieren in der Gesellschaft wie z.B. Arbeitszeitmodelle, als auch die Werte der Menschen in der Gesellschaft wie z.B. soziale Gerechtigkeit, als auch die Steuerung dieser Gesellschaft, wie z.B. die Demokratie in der Politik. Wenn sich an einer der drei Säulen etwas ändert, muss sich auch an den anderen beiden Säulen etwas ändern, denn sonst wäre das System instabil. Es ist also den meisten Menschen bekannt, dass leider oder manchmal auch glücklicher Weise nichts für die Ewigkeit ist, aber vieles auf Dauer bestimmt ist. Ist aber die Zeit gekommen und man augenscheinlich erkennen kann, das Bewährtes nicht mehr funktional ist, dann muss man die Verantwortung dafür übernehmen und die Chance für Veränderung wahrnehmen. Schuld & Sühne mag zwar religiös etabliert sein, führt aber meist nicht zu Weiterentwicklung.
Wenn man also aus gegebenem Anlass ein beispielhaftes Thema “EU” im Zuge der COVID-19 Systemkrise hernimmt, das sieht man z.B. aktuell auf makropolitischer Ebene Erfolge aber auch massive Misserfolge. Es stellt sich die Frage, ob die EU, wie man sich diese in den 1980er Jahren vorgestellt hat, an ihre Systemgrenze und die Grenzen ihres Funktionierens angelangt ist. Eine EU ist funktional nicht mit einem Staat Amerika zu vergleichen. Das wäre Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Es heißt aber umgekehrt nicht, dass Alles schlecht ist und das System nicht funktioniert hat. Vielleicht ist es eben aufgrund der neuen Herausforderungen nur schlecht organisiert, oder schlecht orientiert/geführt, oder die Werte stimmen nicht mehr. Ein schönes Zitat von Georg Christoph Lichtenberg drückt die Notwendigkeit des Handels sehr schön aus: “Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.” Dazu braucht es Bewusstsein und Mut. Wenn also weder einheitliche Bestimmungen wie z.B. in Sachen Reisefreit in der EU in Zeiten von COVID-19 nicht gemeinsam gelöst werden können, wenn gemeinsame Vakzin-Bestellungen und zugehörige Bestellpläne nicht halten, wenn nicht alle Mitglieder gleichwertig gesehen werden, usw., dann bleibt unweigerlich die Frage, ob das gemeinsame Ziel und Committment noch stimmt. Wenn nicht, dann heißt es unterbrechen, innehalten, neu ausrichten, neu aufsetzen. Es gibt viel mehr Lösungen als Probleme. Man muss nur die Problemursachen und Treiber identifizieren. Wenn – und das ist in Krisenzeiten eine erprobte Haltung – einem Staat das eigene Volk näher/wichtiger ist als eine konstruierte Union, dann kann die Union nur funktionieren wenn diese rigide durchregiert und alle Einzelstaaten “overrult” werden. Diese Macht ist ihr aber nicht legitimiert. Hier funktioniert die USA nun Mal in ihrer funktionalen Ordnung anders. Daher bleibt die Frage, die man sich stellen muss: Kann und soll man das damals vermeintlich beste Modell so noch weiter aufrechterhalten, gibt es noch das Committment und die Beteiligung Aller zu einem gemeinsamen übergeordneten Ziel und arbeiten die handelnden Personen noch demgemäß oder nicht? Wenn nein, dann ist entweder das System neu zu organisieren, die Werte sind neu gemeinsam festzulegen oder die Führungspersonen sind zu tauschen. Oder aber das Ziel und die Orientierung sind neu auszurichten. An Etwas, woran wir glauben und was künftig einen Mehrwert bietet, denn dann ist es den meisten wert, daran zu arbeiten. Vielleicht aber reicht der EWG-Gedanke aus 1957 als Basis um die europaweite Zusammenarbeit dort zu stärken, wo es tatsächlich gemeinsame Interessen gibt, und dafür den einzelnen Nationalstaaten dort aktuell mehr eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu geben, wo diese in Krisenzeiten notwendig sind. Vielleicht passt das Modell EU doch, aber vielleicht ist diese einfach aufgrund suboptimaler Organisation und Zusammenarbeit für einige (gefühlt) wertlos?
Vielleicht braucht es aber einfach wieder mehr Integrität auf allen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ebenen mit den Ideen des langfristigen nachhaltigen Kompetenz-, Optimierungs- und Effizienzgedanken, statt schneller Gewinnmaxime und Karrierismus. Möglicherweise ist der Schlüssel zu einer lebenswerten Zukunft wieder mehr Anerkennung und Wertschätzung für das einzelne Individuum, damit sich dieses selbstgewollt sozial zusammenschließen kann, statt fremdgesteuertes Big Data, Clusterung und Überwachung. Natürlich bedeutet das aber auch mehr Eigenverantwortung für den Einzelnen und gesellschaftsfähige ethische Werte. Das ist für den ein oder anderen auch deutlich unbequemer als Fremdsteuerung. Dennoch sind wir Alle die Gesellschaft und Wirtschaft und müssen daher gemeinsam durch und aus der Systemkrise finden.
Eigentlich ist stets schon Alles da gewesen, de facto kommt daher Alles in einer anderen Form am langen Ende wieder. Am Ende wird vermutlich alles Gut, und ist es noch nicht gut, ist es noch nicht das Ende… Also auf ins Jahr zwei um aktiv die Veränderung zukunftsfähig mitgestalten, wo immer es möglich ist und Durchhalten!